Die Stadtentdecker erforschen Luckenwalder Quartiere
Dass in einer Stadt eine Fußgängerzone anders aussieht als eine Eigenheimsiedlung weiß jedes Kind. Doch was macht die Unterschiede städtischer Quartiere aus? Weshalb ist ein Viertel attraktiv und belebt, ein anderes von Leerstand geprägt? Wie breit muss eine Straße sein, wie hoch die Bebauung, damit wir sie als angenehm empfinden? Was braucht ein Quartier, damit wir dort gerne wohnen?

Diesen und anderen Fragen gingen die Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse im Seminarkurs Geografie am Friedrich-Gymnasium im Luckenwalde nach. Im Rahmen des Projekts „Die Stadtentdecker“ spazierten sie, begleitet von ihrem Lehrer Christian Strehmel und den Architekten Michael Küssner und Peter Neideck, durch verschiedene Quartiere in Luckenwalde und nahmen sie genauer unter die Lupe.
Wie ein Bilderbuch der Stadtbaugeschichte bietet die Stadt am Fläming dazu beste Gelegenheit. Von den dörflichen Strukturen des mittelalterlichen Ackerbürgerstädtchens über die gemischt genutzten Gründerzeitviertel bis hin zur Gartenstadt - von den Wohnzeilen der Weimarer Republik über die Plattenbauten aus DDR-Zeiten bis zum Wohnungsbau der 90er auf einem ehemaligen Fabrikgelände sind in Luckenwalde alle wichtigen Epochen und Typologien vertreten.
Bevor die Schülerinnen und Schüler den eigenen Heimatort erkundeten, sollten sie den Blick nach außen richten und Städte aus anderer Perspektive betrachten als sie es im Erdkundeunterricht gelernt hatten. Was ist das Charakteristische einer Stadt und wodurch wird es bestimmt? Gedanklich reisten die Jugendlichen mit ihren erwachsenen Begleitern von Brandenburg bis nach Übersee. Den Anstoß gaben die Architekten mit Schilderungen ihrer Heimatstädte, dem mittelalterlichen Kiel und dem barocken Karlsruhe. Themen der Stadtplanung ergaben sich bei der Vielzahl genannter Orte wie von selbst. Eine Schülerin war vom Straßenraster Barcelonas beeindruckt, in dem sich zudem phantasievolle Architektur, wie die von Gaudi findet. Ein anderes Mädchen erinnerte sich an die malerische Fachwerkstadt Wernigerode, wo das verfügbare Material die Bauweise geprägt hat. Paris mit seinen Boulevards wurde genannt, Rom als Metropole der Antike, Berlin, die multikulturelle Szenestadt.
Danach durften die Schülerinnen und Schüler selbst eine ideale Stadt entwerfen, und lieferten überraschende Ergebnisse. Während die Jungen streng rationale Stadtgrundrisse erdachten, die auf Achskreuzen und Rastern basierten und vielleicht noch von einem Autobahnring gefasst waren, planten die Mädchen Städte, die sich organisch an einen Fluss oder in die Landschaft schmiegten und vielfältige Beziehungen zwischen ihren Vierteln ausbildeten.
Ein Besuch im Heimatmuseum Luckenwalde lenkte den Fokus wieder auf die eigene Stadt. Museumsleiter Roman Schmidt führte die Gruppe anhand ausgewählter Exponate durch die Stadtgeschichte, so dass jede Epoche lebendig wurde. Der Schwerpunkt lag in der Zeit von Industrialisierung und Weimarer Republik, als Luckenwalde einen gewaltigen Bauboom erlebte. Die qualitätsvolle Stadtplanung dieser Zeit prägt das Gesicht der Stadt noch heute.
Doch nicht nur mit den vorbildlichen Quartieren der 20er Jahre sollten sich die Schülerinnen und Schüler anschließend beschäftigen. Bei der Auswahl von sieben exemplarischen Vierteln wurde keine Ära ausgeklammert. Um die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vergleichen zu können, gestaltete die Jugendlichen Plakate im einheitlichen Layout. Mit Fotomontagen zeigten sie die Fassaden eines charakteristischen Straßenzugs. Ein Schemaschnitt verdeutlicht die Proportionen des Straßenraums. Anhand einer Checkliste wurden Dachformen und verwendeten Materialien ebenso untersucht wie die Begrünung und die Arten der Nutzung.
Gekonnt präsentierten die Jugendlichen am 3. März im Ratssaal die Resultate ihrer Analysen. Je zwei oder drei Gruppen stellten im Wechsel die Luckenwalder Quartiere von Volltuchgelände bis Am Anger vor und bewerteten sie in Gegenüberstellung mit den jeweils anderen. Auch wenn die Schülerinnen und Schüler Partei ergriffen für „ihr“ Viertel - wohnen wollte dort letztlich keiner von ihnen. Im Stadtentdecker-Gespräch verrieten sie, dass sie fast ausnahmslos in Einfamilienhäusern am Stadtrand oder auf dem Dorf leben, was ihre distanzierte Sicht auf die städtischen Wohnformen erklärt. Trifft man sich wenigstens in der Stadt? Das bescheidene Freizeitangebot für ihre Altersgruppe scheint zu genügen. In Vereinen und im Privaten haben die jungen Luckenwalder ihre Freiräume gefunden. Als Ort der Begegnung hat der frei zugängliche Stadtraum offensichtlich an Bedeutung eingebüßt.
Die Erfahrungen des Seminarkurses wollten die Schülerinnen und Schüler indes nicht missen. „Ich habe endlich die eigene Stadt kennengelernt“ meinte Damian. Auch wie der Kurs weitergeht interessiert. So ist Claudia neugierig auf die von der Stadt geplante Umgestaltung der Fußgängerzone. Total egal ist der Jugend der öffentliche Raum folglich nicht.
Peter Neideck, projektbegleitender Architekt
Beitrag in: Deutsches Architektenblatt 04/2016